Mütter im Krieg, Käthe Kollwitz, Bleistift, 1919, Käthe-Kollwitz-Museum, Köln
Mütter im Krieg, Käthe Kollwitz, Bleistift, 1919, Käthe-Kollwitz-Museum, Köln
Mütter im Krieg, Käthe Kollwitz; Bleistift, 1919; Käthe-Kollwitz-Museum, Köln

Als sei der Wahnsinn im Ukraine-Krieg nicht schon mehr als genug: Jetzt wieder ein neuer Nahost-Krieg. In der Folge eines grauenhaften terroristischen Massakers mit menschenverachtender Geiselnahme schlägt die einzige Demokratie im Nahen Osten mit überzogener Härte zurück; verspielt vielleicht für lange Zeit jede Möglichkeit für einen gerechten Frieden; begünstigt ungewollt schäbigen Antisemitismus; nährt den Verdacht, daß hier eine umstrittene Regierung auch versucht, von eigenen Versäumnissen durch wilde Entschlossenheit abzulenken.

»Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als würde er die ganze Welt retten. Und wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zerstört.«

Talmud, zit. n. Rabbiner Elias Dray

Nicht weniger müssende Denkende über die allgegenwärtigen Propaganda-Widerlichkeiten bestürzt sein. Keine fanatisch-radikale Position und kein dummes Nachgeschwätz von Falschdarstellungen, Tatsachenverdrehungen und Ursachenleugnerei, ist peinlich genug, als das sich nicht Millionen Nutzer „sozialer“ Netzwerke daran delektierten. Alles soll in ein – interessengeleitetes – simples Schwarz-Weiß-Raster gezwungen werden, in dem nur pro oder contra gilt, damit man „Feinde“ ausmachen und mit Schmähungen und Hassreden verfolgen kann. Wieder nur Geschrei statt mitfühlendem Nachdenken. Das ist offenbar eine neue Lieblingsbeschäftigung des modernen Mediennutzers, gut vielleicht gegen Inferioritätsgefühle mangels wirklicher, ernsthafter Informiertheit. Ist denn das Leid der vielen Opfer, aller Opfer, so leicht zu vergessen?

Mit Gewalt lässt sich kein Sinn erzeugen. Auch nicht mit demokratisch legitimierter Gewalt. Auch nicht durch das unbestreitbare Selbstverteidigungsrecht. Ist die Gewalt erst ausgebrochen, ist es schon zu spät: Die toten Kinder in Israel, in Gaza, in der Ukraine und an den vielen anderen Konfliktorten, sind das Fanal der humanen Bankrotterklärung unseres Jahrhunderts, für die wir alle Verantwortung tragen.

Krieg als Dauerzustand

Es ist unglaublich, aber wahr: Mehr als zweihundert bewaffnete Konflikte weltweit und zwei vollumfängliche Kriege dazu. Alles, was wir Menschen an krankem Wahnsinn aufzubieten haben, wird da geboten. Keine Grausamkeit, keine noch so dreiste Lüge, keine noch so fadenscheinigen Gründe, keine noch so furchtbare Waffe bleibt ausgespart, wenn wir mal wieder dran sind, einander totzuschlagen.

Hat es in der Geschichte jemals einen größeren Irrtum gegeben, als der des Francis Fukujama? Das Ende der Geschichte sei erreicht, der kalte Krieg vorbei, Ideologien wie Faschismus und Kommunismus an inneren Widersprüchen endgültig gescheitert, der Weg frei für liberale Demokratien, die in der ganzen Welt zu wirtschaftlichen Zwecken notwendig friedlich zusammenarbeiten?

Ich habe es gerne und lange geglaubt, wie Viele. Endlich der Aufbruch in eine bessere Zukunft. Die Moderne des 21. Jahrhundert hat aber bisher nur bewiesen, daß dank neuer Techniken das Grauen des Weltkriegszeitalters mühelos überboten werden kann. An grässlichen Waffen oder an mittelalterlichen Revanche-Fantasien, oder an infamem Missbrauch der Religionen, oder an spinnerten Volkstribunen, die alten demagogischen Unfug herauskramen, fehlt es nicht.

Unser Verstand reicht aus, daß wir die Mittel entwickeln, alles Leben auszulöschen; allein die von uns ausgelöste Klimakrise und das Artensterben reichten dafür schon aus. Aber unsere Intelligenz reicht nicht dazu, uns selbst zu beherrschen, in Frieden als Menschen miteinander umzugehen und Kriegstreiber vor dem Blutvergießen in die Schranken zu weisen?

Das Ende der Geschichte, Francis Fukuyama; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2022 (554 Seiten, ISBN 978-3-455-01495-2)