Kunst außer der Zeit - PARADIESGÄRTLEIN, oberrheinischer Meister, um 1420, Städel Museum, Frankfurt

Die Beobachter

Die Beobachterposition dessen, der nicht eingreift, nicht beeinflusst, nicht wirkt, ist außer der Zeit. Stetige reflexive Betrachtung von Zuständen führt notwendig zu idealen Vorstellungen. Als unbedingte Normative fordern diese Verwirklichung, die der nur reflektierende Beobachter jedoch in der Zeit nicht leisten kann. Die Folge ist Rückzug des Beobachters, aus dem Zeitgeschehen, von der Verwirklichung. Das gilt allgemein als tragisches Versagen. Nur wenige sehen in dieser zurückgezogenen Domäne des potentiellen eine alternative Notwendigkeit; sie sind es, auf die Kunst wirkt.

Die Bildner

Der zurückgezogene, stetig reflektierende Beobachter mit Verwirklichungsdrang wird zum Bildner. Er/sie kann außer der Zeit aber nur Pläne und Modelle für die Verwirklichung seiner Idealvorstellungen machen. Fleißig und / oder talentiert betrieben, wird das zuweilen Kunst. Die ständigen Gefahren bei dieser Arbeit heißen Uneinheitlichkeit, Unvollkommenheit, Unverständlichkeit, Unsinnigkeit. Sie bedrohen das Bildwerk von innen. Gegen diese Bedrohungen stehen die Werkmachenden allein. Gelungene Einheit, Vollkommenheit, Verständlichkeit und Sinnhaftigkeit liegen im Werk, völlig unbeeinflussbar von außen, und bleiben oft lange Zeit verborgen. Nur auf diese inneren Werkeigenschaften kommt es an – auch wenn tout le monde von außen versucht, Qualität und Wert per Zuschreibung zu bestimmen, um aus den Idealen von ernsthaft reflektierenden Beobachtern anständige Wirtschaftsgüter zu machen – oder als unverwertbar zu verwerfen. Ist die Etablierung gelungen, bleibt zuweilen eine klaffende Bedeutungslücke zurück; die Wertzuschreibungen werden zunehmend fraglicher. Diese Lücken füllen professionelle Auftrags-Betrachter mittels furchtbar modernen Kontextkonstruktionen, die sie in quasi-amtlichen Beglaubigungsschreiben niederlegen. So wird große Kunst gemacht.

Der Kunstbetrieb

Von außen betrachtet wirkt der Kunstbetrieb deshalb immer ein wenig lächerlich, auf nüchterne Naturen sogar peinlich. Es ist gut, gebührenden Abstand von ihm zu halten und das ganze Gewerbetreiben nicht so ernst zu nehmen. Von innen gesehen arbeiten KünstlerInnen wie Wissenschaftler in der Grundlagenforschung, auch so eine Domäne des potentiellen. Deren Ergebnisse sind selten direkt praktisch anwendbar. Eines Tages sind sie es dann doch: Plötzlich nutzen alle quantemechanischen Apparate und es gilt ihnen die Unschärferelation als Tatsache.

Die GrundlagenforscherInnen der bildenden Künste haben es noch schwerer. Mit ihrer notwendig auf Neologismen angewiesenen programmatischen Werkarbeit müssen sie die Rezipienten allein lassen und dann hilflos dabei zusehen, wie die Fehlinterpretationen Dritter den mühsam erarbeiteten Sinn verderben.

Die Kunstbetrachter

In den Museen sieht man viele vor Vermeer oder Picasso stehen, mit den unvermeidlichen Apparaten am Ohr, um zu hören, was sie nicht sehen können. Zuvor standen sie zur mentalen Einstimmung auf Kuratorengeheiß stundenlang in der Warteschlange. Manchmal sieht man aber welche, die in der ständigen Sammlung unvermittelt stehen bleiben, lange schweigend ein zunächst unscheinbares Bild in einem Winkel ohne Spotlight, ohne Kontext betrachten, irgendein Paradiesgärtlein, von dem sie sich nur zögernd wieder lösen können. Es war dann der Moment in dem sich Kunst ereignet hat. Für diesen Moment arbeiten die KünstlerInnen, tagtäglich, außer der Zeit.